Jeewi Lee
Der Abgang
04.05. – 03.07.2018
Jeewi Lee, Der Abgang, 2018

Eröffnung am Freitag, 4. Mai 2018, 18 Uhr

 

Die Künstlerin Jeewi Lee setzt im Lichthaus Arnsberg ihr Projekt „Blinder Beifall“ fort:

In einem ersten Teil hat sie 2016 in Berlin den legendären Zirkus Busch zu ihrer Ausstellung eingeladen. In der Mitte des Ausstellungsraums installierte sie eine runde Manege, in der dann die Tiere zusammen mit Zirkus-Artisten aufgetreten sind. Alle Zirkustiere außer einem. Der Elefant hat nicht durch die Tür der Galerie gepasst.

 

Zur Eröffnung der Ausstellung war die Show bereits vorbei. Die Manege war verlassen. Die Show war auf dem Sandboden aufgezeichnet und Besucher konnten Abdrücke und weitere Spuren der Tiere entdecken, erforschen und diskutieren. Die Arbeit regte Fragen und Mythen an und forderte die Vorstellungskraft. Ihre Fortsetzung findet jetzt im Lichthaus statt.

 

Die großzügige Architektur des Lichthauses ermöglicht die problemlose Bewegung eines Elefanten innerhalb und außerhalb dieses Hauses. Doch der Zirkus Busch, den Lee wieder kontaktierte, hat keine Elefanten mehr. Nach sechs Generationen im Zirkus hat sich die Familie Busch 2017 von ihren Elefanten getrennt. In den letzten Jahren werden Zirkusse immer mehr gedrängt, ihre Wildtiere in Zoos oder Tierparks abzugeben. Damit stirbt der traditionsreiche künstlerische Beruf des Dompteurs aus, der meist vom Vater zum Sohn weitergegeben wurde. Diese Entwicklung ist aber nur der Anfang:

 

Die Forderungen nach einem gerechten Umgang mit Tieren werden immer lauter. Neue Szenarien für einen radikalen Umbau der Gesellschaft hin zum Einklang mit der Natur nehmen klare Gestalt an. Nach dem verlangten Verbot von Wildtieren im Zirkus, sind nun die Zoos dran. Auch Zoos sollen tierfrei werden. Denn Kinder können alle Wildtiere mittels Fernseher und Internet kennenlernen. Exotische Wildtiere gehören nicht zu Deutschland - sie brauchen Freiraum und ihre natürliche Umgebung. Sie sollen in ihre Herkunftsländer zurückkehren. In Deutschland dürfen nur deutsche Tiere bleiben. Dem Tierwohl zuliebe sollen Tiertransporte verboten werden. Auch Tiere züchten, zähmen, reiten, melken, einsperren und an der Leine führen ist als Eingrenzung der tierischen Freiheit zu betrachten und sollte verboten werden. Eine vegane Ernährung ist erwünscht und dabei sollte man Acht geben, dass wir nicht den Tieren die Pflanzen wegessen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Auch Raubtiere dürfen nicht mehr andere Tiere angreifen, verletzen oder fressen.

 

Die für die Belange des Tierwohls zuständige Behörde hat die Vorstellung des Elefanten im Lichthaus abgelehnt und die Stadt Arnsberg ist dem Beschluss gefolgt. Ausnahmegenehmigungen werden nur bei einem vernünftigen Grund erteilt. Mit dieser Ablehnung hat die zuständige Behörde eine neue künstlerische Gattung ausgelöst: Vernünftige Kunst. Diese neue künstlerische Bewegung grenzt sich radikal von verrückten Grenzgängern ab und widmet sich der Produktion von etwas Neuen und soweit Ungesehenem: Vernünftige Kunst. Jeewi Lee nimmt die große Herausforderung an, für mindestens eine Ausstellung die neue Bewegung zu repräsentieren und gestaltet zugleich den Stempel „Vernünftige Kunst“. Dieses Qualitätssiegel wird auf Elefantenpapier geprägt, das von der Künstlerin für diese Ausstellung aus Elefantendung hergestellt wurde.

 

Aber: Parallel zum abgesagten Auftritt des Elefanten im Lichthaus finden in Arnsberg öffentliche Vorstellungen eines Raubtierflüsterers mit seiner Tigergruppe statt. Zahlreiche Tiertransporte fahren quer durch Europa und zum Schlachthof rund um die Uhr. Fernsehsendungen, Werbe- und Filmproduktionen bekommen  jede Genehmigung für Auftritte von Tieren. Die Wirtschaft darf vieles, doch die Kunst nicht. Diese konsequente Haltung und Sorge um die Tiere ist ein Kunstwerk an sich. Der Zirkus geht weiter.

 

Die Kraft der Natur inspiriert viele Künstler, die die Tiere bewundern. Ausstellungen mit Tieren sind keine Seltenheit und keine Ausbeutung, sondern eine Hommage. Dieses Ausstellungsprojekt ist auch aus Liebe und Bewunderung für die Tiere entstanden. Tiere brauchen zu fressen und trinken, sowie ein Zuhause, Tierarzt, Pflege und Beschäftigung. Mit dem Honorar des abgelehnten Auftritts im Lichthaus hätten die Unterhaltskosten des Elefanten für mehrere Monate abgedeckt werden können. Handelt man den Tieren zuliebe, wenn man diesen erfahrenen Zirkus-Tieren die einzige gelegentliche Einnahmequelle entzieht? Wie kann sich ein existenzbedrohter Tierpfleger gut um seine Tiere kümmern, wenn ihm die Arbeit verweigert wird?

 

Uns geht es lange nicht mehr um einen Elefanten im Lichthaus, sondern um Bildung, Freiheit und Zukunft. Angst und Populismus bedrohen kulturelle Werte und humanistische Traditionen. Künstlerische Freiheit wird missachtet, künstlerische Vorhaben werden zensiert oder nicht finanziert, kulturelle Entwicklung wird umgeleitet. Wie sollen wir ein riskantes und spannendes kulturelles Programm gestalten, wenn wir artig denken und handeln? Wie können wir Innovation und Veränderung vorantreiben, indem wir Angst vor Urteilen und Scheitern haben? Wie sollen wir uns intellektuell entwickeln, indem wir uns der Diskussion entziehen?

 

Lees Ausstellungsprojekt ist eine Hommage an die Tiere. Wie in der Arche Noah konnte sie die letzten Tiere des Zirkus Busch einbeziehen. Nur der Elefant durfte nicht und die Sehnsucht bleibt. Diese Diskriminierung geht weiter und Lee kann auch im Lichthaus ihr Projekt nicht vollenden. Sie kann dennoch viel bewegen und eine öffentliche Diskussion über die Beziehung von Mensch und Tier initiieren. Der Elefant ist physisch nicht da und tritt trotzdem deutlich in Erscheinung. Ein starker Geruch deutet die Präsenz des großen Tiers an.


Im Lichthaus zeigt Lee nicht das Ergebnis, sondern den Prozess: Einen Arbeitsprozess. Einen Transformationsprozess. Einen Verdauungsprozess. Lees Installation im Lichthaus besteht aus der Masse von Ereignissen rund um diese Ausstellung und aus dem Material und Verbrauch eines Elefanten an einem einzelnen Tag. Diese Masse ist nicht mehr sichtbar, jedoch sinnlich wahrnehmbar.

 

Der Elefant hat das Lichthaus nicht nur betreten, sondern ist auch durch die Glaswände hinaus in die Stadt gewandert.

 

(Vlado Velkov)

 

Jeewi Lee (*1987 in Seoul) hat 2014 ihr Meisterstudium an der Universität der Künste Berlin abgeschlossen. Als Preisträgerin 2018 der Villa Romana, lebt und arbeitet sie derzeit in Florenz.

 

www.jeewi.de